Neue Macht - Neue Verantwortung

Ein unaufgeregter Blick auf geopolitische Zusammenhänge

Autor: Walter Schmidt-Bleker hat langjähriger Erfahrung im Bereich der Entwicklung, Harmonisierung und Nutzung von Geoinformationen für das Krisenmanagement

Erstaunen, ja nachgerade Aufgeregtheit, herrscht bei Vielen in Deutschland über eine „Welt im Umbruch“. So als wäre diese Tatsache ein Jahrhundertereignis, das unerwartet über uns hereingebrochen ist.

Aufgeregtheit aber ist stets ein schlechter Ratgeber, notwendig ist vielmehr eine ruhige Betrachtung der Interessenslagen der Staaten und Bündnisse und auch der geopolitischen Zusammenhänge

In dieser Welt im Umbruch hat Deutschland an relativer Macht gewonnen:

Wir haben die Finanz- und Wirtschaftskrise und deren Auswirkungen seit ihrem Beginn in 2008 besser als jeder andere europäische Staat gemeistert.

Gerade im Vergleich mit Frankreich und Großbritannien steht Deutschland wirtschaftlich ausgezeichnet da.

Andere Faktoren wie Bevölkerungsgröße, geographische Lage und politische Stabilität flankieren die Vormachtstellung Deutschlands in Europa

Daraus folgt unentrinnbar: Wer (mehr) Einfluss hat, hat auch die Pflicht, ihn verantwortungsbewusst zu nutzen. Insofern weist das neue Weißbuch in die richtige Richtung: Führung wird hier nicht als unilateraler Sonderweg verstanden, sondern Führung als Aufzeigen von Lösungswegen, der Bereitstellung notwendiger Mittel und der Überzeugung von Partnern, diesen Weg gemeinsam zu gehen.

Dazu gehört aber dann auch, klare Artikulation der eigenen Interessen sowie die Bereitschaft zu ihrer Durchsetzung Entscheidungen zu treffen, diese zu erkläre und auch durchzustehen und gegeben falls auch Kritik und Widerspruch verbündeter auszuhalten. Ich möchte Ihnen das an einem aktuellen Beispiel erläutern:

Als Reaktion auf eine angebliche Verletzung des INF-Abrüstungsvertrags durch russische Raketentests denkt Washington an eine mögliche Stationierung von landgestützten atomaren Marschflug-körpern. Doch das beunruhigt nach SPIEGEL-Informationen die europäischen Nato-Verbündeten der USA.

Bei einem Treffen der Nato-Verteidigungsminister Anfang Februar sprachen sich Deutsche und Franzosen grundsätzlich dagegen aus, auf die angebliche Vertragsverletzung durch Russland zu reagieren. Europäische Nato-Verbündete zweifeln an den amerikanischen Vorwürfen. Keiner der europäischen Geheimdienste verfügt über die Aufklärungsmöglichkeiten der Amerikaner.

Im INF-Vertrag hatten die Supermächte 1987 vereinbart, alle landgestützten Mittelstreckenwaffen zu verschrotten und künftig auf neue zu verzichten. Washington wirft Moskau nach SPIEGEL-Informationen nun vor, es habe den Marschflugkörper R-500, geschätzte Reichweite: 500 Kilometer, und die ballistische RS-26-Rakete, die das gesamte europäische Nato-Territorium bedrohen kann, in einer Weise getestet, die den INF-Vertrag verletze. Der R-500 hat eine geschätzte Reichweite von 500 Kilometern, die RS-26-Rakete kann das gesamte europäische Nato-Territorium bedrohen.

Nach Angaben von Brian Mckeon, stellvertretender Staatssekretär im Pentagon, bereite Washington jetzt Antworten vor, um die Sicherheitsinteressen der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten zu wahren. Eine mögliche Antwort, ließ er verlauten, sei die "Stationierung landgestützter Marschflugkörper in Europa".

Wenn dann also – wie jetzt gerade – die Diskussion um „ Kalter Krieg“ und „Nukleare Aufrüstung“ aufflammt, dann müssen wir m.E. zumindest dahingehend klar Stellung beziehen, dass wir sowohl unser als auch das europäische Territorium insgesamt für eine nukleare Auseinandersetzung nicht mehr zur Verfügung stellen wollen!

Wir müssen uns verabschieden von diesem „Fahren im Geleitzug der internationalen Gemeinschaft“ im Vertrauen darauf, dass da schon der Richtige die richtige Richtung angibt. Tastsache ist doch, dass uns aus den geschichtlichen Erfahrungen des geopolitischen Handelns von Nationalstaaten im Wesentlichen nur eine verlässliche Maxime entgegenstrahlt:

Jeder Staat versucht im internationalen Kontext das durchzusetzen, was ihm nutzt!

Diese Feststellung impliziert im Grunde, dass Ordnungen oberhalb der Nationalstaaten – ich nenne das Metaebene - einer ständiger Weiterentwicklung unterliegen.

Erfolgreiche Versuche der Einführung von Ordnungselementen in dieser Metaebene wie UN und Bündnisse wie der NATO, erwiesen sich jedoch in der Geschichte im Grunde auch stets als wichtige Einflussinstrumente derer, die die Macht dazu haben, diese ihrem Sinne zu nutzen.

Lassen Sie mich klar feststellen: Eine politische Weltautorität mit ehrlichen und transparenten Entscheidungsprozessen gibt es noch nicht! (falls das mit der Ehrlichkeit in der Politik überhaupt geht)

Man wird aber gerade hiergegen das Handeln und die Rolle deutscher Sicherheits- und Außenpolitik entgegenhalten. Ein Handeln, das ja oft genug von den übernational abgestimmten Grundsätzen und vereinbarten Regularien getragen war. Tatsache ist jedoch, dass sich gerade mit Nachkriegsdeutsch-land ein Akteur im internationalen Spiel der Kräfte etablierte, der beladen mit Kriegsschuld und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, eben als Nationalstaat zunächst überhaupt nicht souverän war.

Tatsächlich ist das Handeln der Akteure im internationalen Kontext einer permanenten „Evolution“ unterworfen. Diese wird hervorgerufen durch anhaltende actio et reactio, getrieben durch das Bedürfnis, das Wohlergehen des eigenen Volkes zu mehren oder zumindest zu bewahren.

Das eigentliche Problem für das politische Handeln Deutschlands in dieser sehr komplexen und kriegsträchtigen Zeit ist nun, dass Deutschland den wichtige Schritte in die Neue Verantwortung jetzt tun muss , um seiner geopolitischen Rolle gerecht werden zu können.

Was bedeutet das?

Wir müssen uns wohl damit abfinden, dass auch künftig die Krise der Normalfall sein wird. keine der wichtigsten militärischen Operationen der NATO in den letzten Jahrzehnten ist auch nur sechs Monate vor ihrem Beschluss vermutet worden (z.B. Kosovo, Afghanistan, Libyen). Es ist wohl vorauszusehen, dass das auch in Zukunft so sein wird.

Wenn aber die Krisenbewältigung weiterhin Tagesgeschäft ist, dann müssen wir feststellen, dass unsere Instrumente der Krisenbewältigung dazu nicht hinreichen, z.B.:

Die Bündnisfähigkeit der Bundeswehr muss gestärkt werden. Dazu muss man feststellen, dass eine weiter fortschreitende Bündnisintegration militärischer Fähigkeiten u.a. entscheidend vom Vertrauen der Partner darin abhängt, dass die arbeitsteilig organisierten Fähigkeiten sicher und verlässlich zur Verfügung stehen, falls eine Mission auf internationaler Ebene mit Deutscher Zustimmung beschlossen wird. Tatsächlich ist die derzeitige parlamentarische Zustimmungsprozedur eine Beeinträchtigung der außenpolitischen Handlungsfähigkeit Deutschlands besonders in den Fällen, in denen Deutsche Soldaten als Teil eines bestehen-den multinationalen Verbandes in einen Einsatz entsandt werden sollen. Dieses Grundübel Deutscher sicherheitspolitischer Entscheidungsfindung hat ja nun die Rühekommission zumindest begonnen abzustellen. Wenngleich meiner Meinung nach die Ergebnisse und die damit vorgeschlagenen Änderungen eher marginal sind.

Es braucht starke Streitkräfte, denn militärische Stärke trägt zur politischen Lösung bei. Unsere militärischen Fähigkeiten müssen modernisiert und besser mit denen unserer Partner und Verbündeten verknüpft werden

Technologischer Fortschritt muss gewollt sein, aktive Militärs müssen sich mit ihrem Sachverstand stärker an den Debatten hierüber beteiligen, um so in der öffentlichen Debatte sowohl einer technikfeindlicher Panikmache als auch kaltblütigem Missbrauch entgegenzutreten.

Herzogenrath, im Juni 2015

Hinweis:

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ISBN: 978-3-8482-7370-6
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